15.Feb 2024
Ein Jahr Lyrik und Prosa auf YouTube
Ein Miniatur-Jubiläum, das glücklich macht
Vor einem Jahr, genauer: am 1. Februar 2023, ging der Autor Hannes Sonntag auf unserem YouTube-Kanal mit zwei ersten literarischen Videos online: seine Erzählung Ein Hund zum Anfassen und das erste der Literaturgespräche Leicht gefragt – gern gesagt (Das weiße Blatt) wurden zum Auftakt eines Werkpanoramas, in dem Sonntag Prosa, Essayistisches, vor allem aber Lyrik aus seiner Feder präsentiert.
In die Welt gesetzt als editorischer Luftballon erdete sich das Projekt schon gleich zu Beginn mit allen Formen intensiven Zuspruchs und begeisterten Echos. Bis heute – und hier hat auch die quantitative Sicht ihren Platz – erhielt unser Kanal mehr als 6.500 Aufrufe. Das ist vor allem im Segment moderner Lyrik ein signifikanter Wert – zumal wenn der Zuspruch über ein Jahr hin unvermindert anhält.
Viele Beobachtungen stellen ja sehr allgemein fest, dass sich die Wahrnehmung von Literatur zunehmend „vermündlicht“. Doch was derart als Novum angesprochen wird, ist in Wahrheit die älteste Form literarischer Tradierung: das Vorsprechen und Vorlesen zielt direkt in Herz und Hirn von Hörerinnen und Hörern. Wenn nicht flackernde Höhlen- oder Herdfeuer, dann immerhin ist es die Optik des roten Designer-Lesesessels und der rückwärtige Korpus eines Gründerzeit-Klaviers, die Sinn und Sinnlichkeit von Hannes Sonntags Literatur hinterlegt.
Gerne nehmen wir das kleine 365-Tage-Fest zum Anlass, unsere persönliche Freude zu artikulieren. Auf ein Weiteres im noch jungen Jahr 2024!
07.Mai 2023
Leipzig liest – unsere zwei Premieren
Unsere konzertanten Veranstaltungen im Rahmen von ‚Leipzig liest‘ entsprachen ganz der allgemeinen Messe-Euphorie. Bei der Premiere unseres neu erschienenen Hörbuchs ‚Mario und der Zauberer‘ in der Besetzung für Sprecher, Schlagzeug und Klavier mussten die letzten verfügbaren Stühle aus dem Fundus des Mendelssohn-Hauses hinauf in den Kammermusiksaal geschleppt werden – Hörerinnen und Hörer hatten schon fast eine halbe Stunde vor Beginn den Raum gefüllt. Markus Kopf, Ben Bönniger und Christian Pabst scheuten sich denn auch nicht, angesichts der Begeisterung des Publikums Ansätze von Künstlerglück zu zeigen.
Unser Autor Hannes Sonntag, ebenfalls im Mendelssohn-Haus und später im Musik-Café auf der Messe lesend und spielend, zelebrierte das Spektrum der stillen Töne: die Präsentation der Neu-Erscheinung seines Hörbuchs ‚Landung einer Seele – Memoiren eines Sechsjährigen‘ bewegte die konzentriert lauschende Hörerschaft zutiefst.
07.Mai 2023
Hochgestimmte Tage auf der Leipziger Buchmesse 2023
Die Freude war dann viel größer als es die leise Skepsis im Vorfeld je hatte sein können: Leipzig präsentierte sich – und wir mittendrin – als derselbe Gute Laune-Magnet, als den wir es von 2019 her in Erinnerung hatten. Ein wahrer Besucher-Rausch erfüllte die Messehallen, am Samstag beinahe in orgiastischer Dimension: dergleichen hatten wir bisher weder in Frankfurt noch in Leipzig je erlebt. Der herbe dreifache Messe-Ausfall zwischen 2020 und 2022 erschien als Erfahrung wie weggewischt: 275.000 Besucher „kamen, sahen und siegten“.
Und wie immer in Leipzig erlebten wir eine Messe lesender Menschen. Enormes Interesse in jeder Hinsicht: unzählige Fragen, engagiertes Wissen-Wollen, versunkenes Lesen am Stand inmitten des Trubels, Zweiergespräche mit einzelnen Mitgliedern unseres Künstlernetzwerks. Dass die Jugend durch die Hallen stürmte, stimmte besonders hoffnungsfroh. Man freute sich ungeniert, wenn Dreizehn-, Vierzehnjährige sich vehement auf das künstlerisch gestaltete Info-Material des Verlags stürzten und dabei einen ganzen Pulk von Freundinnen und Freunden mit ihrer Begeisterung ansteckten. Ja, so soll es sein, dachte man unwillkürlich.
Hat es sich gelohnt? Mehr als das: es war ein wirkliches Vergnügen! Wir freuen uns schon auf 2024 – gar nicht davon zu reden, dass Leipzig ohnehin eine brillante Kulturstadt ist. Nicht zuletzt Lob und Dank für die jederzeit auffallende menschliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, wo immer wir uns bewegten.
26.Jan 2023
Memoiren eines Sechsjährigen – Neuerscheinung Hörbuch
Wir haben uns längst daran gewöhnt: laut muss sprechen und vielfach wiederholen, wer öffentlich wirken will. Was aber, wenn einer nur sagen und nicht wirken möchte? Wenn Worte und Sätze allein gelassen werden und absichtslos das Herz streifen? Wie fühlen wir uns mit inwendigen Spuren, von denen wir nicht wirklich wissen, wie sie da hineingekommen sind?
Das Bild einer landenden Seele impliziert lautloses Gleiten, ein immaterielles Segelflugzeug, Ankommen ganz ohne Blumensträuße und Festreden. Alles, was sich künftig entfalten wird, ist namenloses, ist unbewertetes Geheimnis, bis sich der Blick eines kleinen Jungen darauf richtet.
Dem entspricht die in der Regel knappe Gestalt der einzelnen Text-Sequenzen – nichts hat ein Vorher, alles jedoch eine Gegenwart. Auf wunderbare Weise gelingt es Hannes Sonntag, Jahrzehnte Vergangenem eine Sprache zu geben, die nicht den Versuch unternimmt, zu „kindeln“, deren geistige und sinnliche Präsenz aber vollkommen authentisch einer kleinkindlichen Seele angehört.
Insofern kann die Erzählung frei in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts siedeln, ohne sich von einem zeitabhängigen Kolorit in die Pflicht nehmen zu lassen. Nein, eine Seele ist zeitlos – und die Seele dieses kleinen Jungen könnte ebenso in einem anderen, früheren oder späteren Zeitraum schweben.
Die Idee, Sonntags Sprache mit von Sonntag gespielter Klaviermusik wechseln zu lassen, wäre eine besondere Eloge wert. Die Auszüge aus Alfredo Casellas zauberhaften Kinderstücken sind der jeweils kurze, speichernde Rückzugsort für die Hörenden. Man hätte auch Schumanns Kinderszenen etwa oder Debussys Childrens Corner wählen können. Doch erstaunlich genug – Casellas Pezzi infantili von 1920 wirken im gegebenen Kontext wie wahlverwandt.
Hannes Sonntag präsentiert sich in diesem ganz besonderen Hörbuch gleich dreifach: als Autor, Sprecher und Pianist. Was des Guten zu viel sein oder ermüdend wirken könnte, vereinigt sich hier jedoch zu einer personellen Identität, die vor allem eines sogleich offenbart: ihre sinnstiftende innere Wahrheit.
18.Jul 2022
Der dunkle Glanz des Thomas Mann – Neuerscheinung Hörbuch
Warum ein weiteres Mal das Wort an den deutschen Großautor, den viel gelesenen und besprochenen – an Thomas Mann? Und warum die Wahl gerade dieser Erzählung, die zu seinen bekanntesten gehört? Berechtigte Fragen, die jedoch nur die literarische Oberfläche streifen und sich an der Gleichung „bekannt gleich unergiebig“ orientieren.
Wir lassen uns bei dieser Neu-Produktion von anderen Motivationen leiten. Ein Text wie Phosphor – Thomas Manns 1930 erschienene Erzählung könnte brillanter nicht sein. Aber damit nicht genug, denn Mario und der Zauberer ist eben nicht glättender Klassiker, sondern irritierendes Schauspiel.
Und eben um dieser Irritation willen ist der Text so spannend und zeitnah – denn sein Narrativ bewegt sich zweigleisig. Der Erwartung des Erzählers steht nicht etwa der konventionelle Zauberkünstler gegenüber, sondern die reißerische Praxis eines manipulierenden Hypnotiseurs. Ein Könner des Schlechten, der seine Talente missbraucht und damit das Geschehen in ein tödliches Drama reißt.
Die Erzählung wird immer schon als Parabel auf den italienischen Faschismus gelesen – und es gehört nicht viel Transfer dazu, ihre „Warnkraft“ auch heutigen gesellschaftlichen Machtgelüsten zu assoziieren. Gleichzeitig ist sie eine weitere Variation der Mannschen Künstler-Thematik. Modernität eines literarischen Meisterwerks.
Markus Kopf als Sprecher, Bearbeiter und Ideengeber des Konzepts, Schlagzeuger Ben Bönniger und Pianist Christian Pabst wagen eine turbulente Neu-Interpretation, die einem solchen Ansatz entspricht. Text und Musik inspirieren und untertunneln einander – und bewegen sich gerade deshalb in einer geistigen Gemeinschaft, die aus der Mischung von Reibung und Verstehen etwas ganz Neues macht.
Das Coverbild von Igor Oster erfasst mit brutalem Scharfblick die Optik eines suspekten Charakters.